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Raphael Clemencio

Türkei II - zweimonatiges Eintauchen in reine Gastfreundschaft

01. Februar 2020

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Nach Aufbruch in Amasra folgte weiterhin eine sehr hüglige Landschaft. Bei einem Aufstieg passierten wir drei Bauarbeiter, welche nicht gerade überarbeitet aussahen. Inmitten der langsamen Bergauffahrt begann einer der drei das Gespräch zu suchen und bewog uns gleich dazu abzusteigen und mit ihnen Çay zu trinken. Mit Händen und Füssen und unseren wenigen Bruchstücken türkisch hatten wir einen bleibenden Moment am Strassenrand.


Mir persönlich hat Amasra wohl so gefallen, dass ich erst nach 60km und vielen Höhenmetern realisierte, dass sich der Hotelschlüssel in meiner Hosentasche befand.. mit Vertrauen in die türkische Post und einem vermittelten Telefonanruf ins Hotel, hoffte ich dass dieser den Weg zurück fand.


Es begann an selbem Tag gleich noch stark zu regnen und wir fragten an einem Strand einen Mann ob wir unser Zelt gleich neben seinem Häusschen aufstellen dürften. Als dieser nicht in englischer, sondern in deutscher Sprache antwortete, fühlten wir uns gleich noch mehr aufgehoben. An dieser Stelle kann gesagt werden, dass nach fast zweimonatigem Aufenthalt in der Türkei und umfassender Datenerhebung, mehr Türken Deutsch sprechen und kaum einer Englisch. Ich schliesse dies auf die Immigration vieler Türken in Deutschland zurück da uns viele von ihren deutschen Wohnorten oder Verwandten erzählt haben. Der vorgehende Satz habe ich bewusst in der männlichen Person formuliert, da wir wohl kulturell bedingt zu 95% nur mit Männern ins Gespräch kamen.


So waren wir nun im Zelt nebst dem Ferienhäusschen von Hüsseiyn in starkem Regen stationiert. Die Einladung für frittierten Fisch (TUR: Hamsi, DE: Sardellen), Brot und Salat folgte postwendend nach dem aufstellen des Zeltes. So verbrachten wir zwei verregnete Tage am Strand von Tekkeönü.

Die Küstenfahrt ging weiter nach Gerze. Leicht ausserhalb der Stadt, fanden wir unweit der Strasse direkt am Meer unseren nächsten Schlafplatz. Wir hatten die Idee in einem Tunelausgang unsere Schlafmatten hinzulegen. Da unsere Schlafsäcke bis -12 Grad Celsius ausgerichtet sind, verzichteten wir so auf eine komplette Ueberdachung. Beim Zubereiten des Nachtessens bemerkten wir einen Vater der mit seinem leicht behinderten Sohn die Küste aufsuchte um zu fischen. Murat und Yassin staunten über die bevorstehende Übernachtung. Ein Kaffee auf unserem Kocher gekocht sowie einige Naschereien nahmen die beiden gerne an. Die Einladung auf das gemeinsame Nachtessen, lehnten sie jedoch dankend ab.

Die Nacht war wie geplant kein Problem und ich wurde mit einem sagenhaften Sonnenaufgang belohnt.


Der weitere Weg nach Samsun war für mich ein sehr schöner Weg und bestätigte auch eine neuere Erkenntnis im Projekt, dass ich auch ohne an physische Grenzen zu gelangen, Spass und Freude haben kann. Ohne zu schwitzen fuhren wir nur 20-30 Kilometer am Tag. Wir fuhren durch eine Sumpflandschaft und anschliessend in einen geschuetzten Vogelpark was zum Entspannen in Natur und im Zelt führte. Dass Anne, die Freundin von David erst rund 10 Tage später in Samsun ankommen sollte, brachte uns erst recht dazu die Reise gemuetlich anzugehen.

Aus dem Vogelpark herausgefahren, stärkten wir uns in einem traditionellen türkischen Café. Umut, der Ladenbesitzer nebenan, hatte sehr Freude an uns gefunden und gesellte sich zu uns. Als David sich dann noch als "Davud" der muslimischen Betonung seines Namens vorstellte, war Umut Feuer und Flamme und meinte darauf mit der Translator App: "Let's make you Muslim".


Es waren noch rund 40 Kilometer nach Samsun und wir beschlossen unser Zelt am Strand aufzuschlagen. Der ausgewählte Platz zeigte sich beim Sonnenuntergang von seiner schönsten Seite. Ein Fischer nährte sich in der Dämmerung unserem Zelt und fragte uns ob wir in dieser Nacht nicht kalt hätten. Als wir verneinten, zeigte er auf seine bescheidene Hütte welche sich in der Nähe hinter Büschen befand. Am kommenden morgen sah uns der Fischer wie wir unser Frühstück vorbereiteten und er gab mit seinen Händen zu verstehen, dass wir doch gemeinsam essen sollen. So erlebten wir wiederum die reine Gastfreundschaft der Türkei. Cihad, hatte sein Hauesschen vor 4 Jahren selbständig gebaut und es war sichtlich sein ganzer Stolz, jedoch auch alles was er besitzt. Früher arbeitete Cihad in der tuerkischen Marine. Seinen Lebensunterhalt verdient er zur Zeit mit aktuell bescheidenem Fischfang und als Jaeger. Durch seine Verwandtschaft hatte er bereits die Möglichkeit einen Monat nach Deutschland zu reisen. Länger war fuer ihn aus Visagruenden nicht möglich. Bewusst wurde mir in diesem Moment was wir als Schweizer fuer Reiseprivilegien geniessen und erst noch die finanziellen Mittel dazu haben. So verbrachten wir zwei eindrucksvolle Tage mit Cihad und kauften im Gegenzug fuer unsere Mahlzeiten und seinen doch kontrollierten Bierkonsum ein.

Beim Stadteingang von Samsun, erreichten wir die zurueckgelegten 4000 Kilometer und dies unmittelbar vor einem Fahrradgeschaeft. So teilten wir diese Freude gleich mit dem Geschaeftinhaber und seinem Freund Musa. Die beiden hatten sichtlich Freude an unseren Erzählungen. Als Musa sich dann noch als mein türkisches Pendant zu erkennen gab, war das Lachen in unseren Gesichtern nicht mehr wegzumeisseln. Musa studierte ebenfalls Sport, Interessierte sich offensichtlich fuer Fahrräder, kannte den schnellsten türkischen Leichtathleten und ist ebenfalls im Jahr 1994, jedoch auf den Tag einen Monat nach mir geboren.





Wir hatten die Stadt Samsun nicht in dieser Grösse erwartet. Somit hatten wir einige Dinge zu sehen und zu unternehmen um die Wartezeit auf Anne zu nutzen. So besuchten wir nebst den Museen, den Gokart Park, die Billiardhalle, die verschiedenen Strassen mit Märkten, das lokale Hammam und verschiedene Aussichtspunkte der Stadt. Unmittelbar nach dem Hammambesuch hatte ich zudem ein bleibendes Ereignis. Als David in einem Geschaeft sich etwas zu essen holte, wurde ich auf die Strasse gerufen. Ein leicht älterer und übergewichtiger Mann ob ich gemeinsam mit zwei weiteren Männern einen gefühlte 200kg schwere Kuehltruhe in sein Geschäft befördern könne. Unteranderem auch geprägt von der türkischen Kultur, war es fuer mich selbstverständlich mit an zu packen. Mein Kreislauf machte sich jedoch nach dem Schwitzen im Hammam und dem doch relativ anstrengenden Anpacken bemerkbar.


Einen faden Beigeschmack zu der schönen und vielfältigen Stadt, waren die beiden Polizeikontrollen welche wir erleben durften. Wir wurden an einem Abend von zwei zivilen Polizisten angehalten, nach unseren Papieren gefragt und kurz abgetastet. Soweit war dies fuer uns eine Routinekontrolle, als wir später auch einheimische Jugendliche in einer Kontrolle sahen. Am morgen des letzten Tages in Samsun wurden wir beide um 06:45 durch ein energisches Klopfen aus dem Schlaf gerissen. In Unterhose öffneten wir die Türe und wiederum gaben sich drei Herren als zivile Polizisten zu erkennen. Sie fragten uns nach unseren Pässen und schauten in alle Zimmer. Als wir unsere Geschichte mit den Fahrrädern zu erklären versuchten, fragten sie darauf ob wir als naechstes nach Syrien reisen. Als wir dies verneinten und noch einige kritische Blicke erhielten, zogen die drei dann weiter. Ich hörte wie sie noch an weitere Zimmertüren klopften. Daraus interpretierte ich dann, dass auch dies eine Routinekontrolle gewesen sein muss. Die Türkei unternimmt wohl einiges im Kampf gegen Terrorismus..






Nachdem wir Anne vom Flughafen abgeholt hatten und David das Mietauto mit Gepäck und seinem Fahrrad beladen hatte, trafen wir uns wieder in einem 50 Kilometer entfernten Sumpfgebiet direkt an der Küste. David und Anne legten die Strecke im Auto und ich auf dem Fahrrad zurück. An der Küste angekommen erkundigten wir uns bei einem Fischer ob wir unsere Zelte an jenem Ort aufstellen durften. So verbrachten wir nun zu dritt zwei Tage an der Küste und dies in der Nähe des Hauses jenes Fischers, der uns die Erlaubnis zum zelten gegeben hatte. Der Vater Aksel und der Sohn Murat waren es dann auch, die uns zeigten wie sie ihre Netze einholten und luden uns darauf ein die drei gefangenen Fische gemeinsam zu essen.





Fuer die weiteren Tage wollte ich David und Anne etwas Raum lassen und so fuhr ich alleine bis zum nächsten abgemachten Treffpunkt, einem Leuchtturm. Als ich einen Tag vor dem abgemachten Treffpunkt an jenem ankam, war der Wind und der Regen so stark wie selten zuvor. Dennoch gelang es mir das Zelt aufzustellen, da ich die Heringe tief in den Boden rammte. Am Morgen danach hatte sich das Wetter beruhigt und ich konnte die eindrueckliche Felsenlandschaft und Wellen bei Tageslicht begutachten.





Die Wege führten weiter auf Fahrersitz und Velosattel in Richtung Trabzon. Auf diesem begegnete ich Alex, einem in Georgien wohnhaften Neuseeländer der mir mit seinem Fahrrad entgegen kam. Seit fast zwei Monaten sind wir keinem anderen Veloreisenden begegnet. Wir tauschten uns über seine Route nach Istanbul aus und ich konnte ihm noch einige Sehenswürdigkeiten mit auf den Weg geben.


Eine weitere Nacht verbrachte ich bei einer Ruine mit zugehörigem Leuchtturm mit bestem Blick auf das Meer. Darauf fuhr ich mit grosser Freude nach Trabzon, denn dort besuchte mich dann auch meine Freundin Carla. Einen Tag nach Ankunft von Carla mussten sich dann David und Anne wieder voneinander verabschieden. Carla blieb eine gute Woche mit mir in Trabzon und David fuhr so wie ich es zuvor gemacht hatte, alleine einige Kilometer. Trabzon war fuer mich vergleichbar zu Samsun und ich war überglücklich gemeinsam mit Carla diese Stadt entdecken zu können. Eine bleibende Bekanntschaft hatte ich in Trabzon als ich alleine auf den Bus wartete. Ein älterer Mann lief der Strasse entlang, kam auf mich zu, schüttelte meine Hand mit einem "As-salamu alaykum". Als ich dann als eher asiatisch erkennbarer Tourist  "wa ʿalaykumu s-salām" den Gruss wie üblich in der Türkei erwiederte, schenkte mir der Herr sein schönstes Lachen. Meine Reise führte, frisch geladen mit Energie die weitere Welt zu entdecken, weiter nach Rize wo ich dann David wieder traf. Nach Ankunft folgte sogleich der Hammer mit der Nachricht meines Bruders, dass er zurück in die Schweiz kehren wolle. Die Energie war fuer einige Tage dann weg und mein Körper machte sich zudem mit einer physischen Reaktion bemerkbar. Fuer drei Tage lag ich krank im Zelt und anschliessend im Hotel in der Stadt Hopa. Beim Check-Out hatten wir trotz den tragischen Neuigkeiten von David wieder etwas Grund zur Freude. Wir kamen mit dem Koreaner "Leebong" ins Gespräch. In Amerika hatte dieser einen mittelgrossen Ford gekauft, diesen nach Europa verschifft und fuhr seither um die Welt. Den Plan nach Georgien zu fahren verschoben wir um einige Stunden nach hinten und hatten trotz den Umständen gute Gespräche mit Leebong und konnten gemeinsam die Freude am Reisen teilen. Leebong packte zudem noch seine Drohne samt Kamera aus und hielt den Moment in Hope fuer uns fest. Dies war ein schöner Abschluss des fast zweimonatigen Aufenthaltes in der Türkei.

Blog von Leebong: listeningtotheworld.net

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