15. Februar 2020
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Die Ausreise aus Georgien brauchte einen Moment da ich mit der Identitätskarte einreiste aber sie für die Ausreise den Pass verlangten. So fehlte der Stempel der Einreise im Pass. Die Grenze in Aserbaidschan war dann deutlich sympathischer. Ein Soldat begrüsste mich mit “Welcome to Azerbaijan” und gab mir zu verstehen ihm zu folgen. Er führte mich direkt vor die gesamte Autokolonne und ich war nach dem Vorweisen des ausgedruckten E-Visas relativ rasch im Land.
Auf den flachen Strassen fahrend vielen mir direkt zwei Dinge auf. Erstens nahmen die Azerijs direkt viel mehr Rücksicht im Verkehr als die Georgier. Zweitens hatten sie sichtlich Freude an einem Tourist auf dem Fahrrad. Ein Fahrer küsste in Fahrt beispielsweise seine geschlossenen Finger und hob diese in Richtung Himmel währendessen wir nebeneinander fuhren. Am Strassenrand winkte mir nicht übertrieben jeder Zweite zu und gaben mir häufig zu verstehen anzuhalten. Falls ich nicht anhielt waren es nicht selten die vorbeifahrenden Autofahrer die einige Meter weiter vorne anhielten um ein Foto mit mir zu machen.
Hinter der Grenze gönnte ich mir nach einigen Kilometern ein auswärtiges Mittagessen. Im Lokal angekommen bat mir direkt einer der Gäste sein Glas mit Vodka an. Ich hatte sichtlich Freude an der Geste, doch da ich generell selten Alkohol trinke, lehnte ich erst recht für die kommende Fahrt auf dem Fahrrad dankend ab. Als Ahmed, der Gast, mich böse anschaute ich solle doch trinken, er fahre ja auch Auto, wusste ich nicht ob die Situation jetzt besser war. Ich blieb hartnäckig, trank nichts und alle Gäste am Tisch sagten mir beim Gehen Tschüss, nur Ahmed war beleidigt. Weitere Gäste hatten jedoch sichtlich Freude an mir und sie interessierten sich sichtlich für meine Ausrüstung:
Vodka und im Hintergrund der kontrollierende Blick von Ahmed
Wie in vielen bisherigen durchfahrenen Ländern ist mir der Umgang mit dem Abfall negativ aufgefallen. Sobald beispielsweise eine Packung Zigaretten fertig war, liessen die meisten Einheimischen diese ohne schlechtes Gewissen einfach aus den Händen auf den Boden fallen. Dies Geschah häufig mitten im Gespräch mit mir und ich war wohl in diesen Momenten sichtlich irritiert. Teilweise hob ich nach dem Gespräch den Abfall auf aber ich fühlte mich dennoch als Gast in diesem Land und wollte ihnen nicht korrigieren oder vorschreiben wie sie sich zu verhalten haben. Ein weiteres Verhalten das vermehrt zunimmt ist die Selbstverständlichkeit vom bedient werden im Restaurant. So lassen die Einheimischen beim Betreten des Hauses häufig die Aussentüre offen und dies trotz winterlichen Temperaturen. Die Angestellten müssen dann häufig durch den ganzen Raum laufen um die Türe zu schliessen. Dieses Machoverhalten kommt mir teilweise auch etwas als Wichtigtuerei rüber. Ganz nach dem Grundsatz, ich bin Gast, habe Geld und will dieses hier ausgeben, also bedient mich.
In dieser männerdominierten Gesellschaft bin ich teilweise froh als alleine Reisender auch männlich zu sein. Nebst diesen kulturellen Unterschieden möchte ich dennoch die Offenheit der Azerijs hervorheben. Viele sprechen mich interessiert und direkt an. Dank wenigen Bruchstücken türkischer Sprache konnte ich meine schweizerische und philippinische Herkunft und auch weitere Dinge wie Alter, Zieldestination mit dem Fahrrad und Essenswünsche mitteilen.
Bereits nach dem Grenzübergang hatte ich Freude an den weiten Flächen von Aserbaidschan. Während der östlichen Fahrradfahrt, änderte sich dieses Bild kaum. Mit gleichbleibender Natur reizte es mich etwas weitere Distanzen als bisher täglich zurückzulegen. So habe ich von der Grenze bis zum Hafen von Baku 469 Kilometer in drei Tagen zurückgelegt und Aserbaidschan durchquert. Die weiteste Tagesdistanz lag bei 180 Kilometern und ich hatte nebenbei das Vergnügen Alice und Konstantin erneut zu treffen, obwohl diese fast vier Tage vor mir aufgebrochen waren.
Im Hafen angekommen, versuchte ich das Ticketbüro für die Fähre nach Kasachstan zu finden. Die Informationen, um zum Container des Fährunternehmens musste ich mich mit vielen Fragen selbst einholen. Nichts ist angeschrieben oder beschildert. In einem schlichten Büro in einem unauffälligen Container kam ich schliesslich an mein Ticket. Zum Glück hatte ich im Internet von anderen Fahrradreisenden Berichte gelesen in denen ich erfuhr, dass die Reise mit der Fähre etwas anders als in Europa und unstrukturierter abläuft. Ich hatte mich also bereits zu Beginn auf einige Wartezeit eingestellt, denn ein Fahrplan oder offizielle Onlineinformationen existieren nicht. Auf die Frage wann denn die nächste Fähre nach Aktau, Kasachstan aufbreche erhielt ich fortlaufend die Antwort in gebrochenem Englisch “Maybe tomorrow, maybe the day after tomorrow”.
Die einzigen Verpflegungsmöglichkeiten am Hafen
Grenzposten und Container des Fährunternehmens
Ich hatte ja die Quittung des Tickets für 70$ in den Händen und diese könne ich am Abreisetag der Fähre gegen das definitive Ticket eintauschen. Mit diesen Informationen und einer lokalen Handynummer, bei welcher ich mich auch telefonisch über die Abreise der Fähre erkundigen konnte, versuchte ich das Ganze locker anzugehen. Ein junger Kasache gab mir einen Sack mit Brot, Schokoriegel und gesalzenen Sonnenblumenkernen. Am Tag darauf brachte ich ihm Brot und weitere Süssigkeiten als Frühstück vorbei und er hatte sichtlich Freude. Für zwei Nächte übernachtete ich am Hafen und schloss, trotz fehlenden russisch Kenntnissen mit Lastwagenfahreren und Autoimporteueren aus Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan, Freundschhaften. Der Kasache Namens Bek und auch weitere Fahrer zeigten mir unabhängig voneinander wie das Wetter in Astana/Nur-Sultan aktuell aussieht. Der Schneesturm bei -15 Grad war nicht das was ich bewusst suche bei diesem Veloprojekt.. Glücklicherweise ist Kasachstan ein grosses Land und südlich ist die Temperatur um den Gefrierpunkt was deutlich angenehmer ist.
Um auf die Fähre nicht zu verpassen, besuchte ich laufend das Büro des Fährunternehmens. Es war jeweils ein Mann anwesend, der nach 24 Stunden abgelöst wurde. Ich schloss besonders mit Vladimir eine engere, temporäre Freundschaft. Er war einer derjenigen welche etwas mehr Wörter beherrschte als “maybe tomorrow”. Mit seinen 35 Jahren, hatte er die Sowjetunion noch miterlebt und erzählte mir einige Bruchstücke des damaligen Lebens in Aserbaidschan. Im Büro war es Abends zudem angenehm warm und ich wurde mit Keksen, Orangen und Kaffee eingedeckt. Am meisten Freude hatten wir gemeinsam an russischer Old-School Hip-Hop Musik, welche mir Vladimir auf seinem Geschäftscomputer zeigte.
Vladimir und ich vor seinem “Büro”
Am dritten Tag war immernoch warten angesagt und ich hatte mich entschlossen in die 70 Kilometer entfernte Stadt Baku zu radeln. Mit viel Rückenwind kam ich zügig zum Eingang der Stadt. Auf einem Parkplatz winkte mir ein junger Mann mit einem Hund zu. Der Spanier Salva war 30 Jahre alt und hatte mit seinem Van bereits 30’000 km durch Europa zurückgelegt. Wir verstanden uns blendend und verabredeten uns zu einem Bier am Abend. Eingecheckt im Hostel erkundigte ich zu Fuss Baku. In meinen Augen war es ein eigener Staat innerhalb Aserbaidschan. Die Stadt war relativ modern aufgebaut und sämtliche grosse Designermarken waren in den grossen Strassen anzutreffen. Der Charme einer Stadt war beispielsweise in Tiflis, Georgien und Istanbul, Türkei meiner Ansicht nach deutlich spürbar. Dieser Charme fehlte hier in Baku. Am Abend hatte ich weiterhin eine gute Zeit mit Salva. Er hatte einige Geschichten von den Reisen auf den Strassen, seinem Hund Trabi und seiner Arbeit als Fotograf zu erzählen.
Am Morgen danach erkundigte ich mich telefonisch über den Stand der Fähre. Obwohl ich erfuhr, dass die Fähre heute nicht fährt, entschied ich mich zurück zu fahren. Den am Tag zuvor herrschende Rückenwind war nun ein starker Gegenwind. Für die letzten 15 Kilometer machte ich mir auf der übersichtlichen Strasse die Hilfe eines Lastwagens in Form von Windschatten zu Nutzen. Mit Maximalgeschwindigkeit von 55km/h im Hafen angekommen, wurde ich für meine Rückfahrt mit dem Ticket für die Fähre belohnt. Dies bestätigte sogleich mein Gefühl der Rückreise, denn die Fähre solle am kommenden Vormittag in See stechen.
An dem Ort an welchem ich mein Zelt zuvor aufgestellt hatte, war nun ein anderes Zelt mitsamt Reisefahrrad parkiert. Ich machte mich mit freudigem Zurufen bemerkbar. “Will” stammte aus England und war bereits ein Jahr mit dem Fahrrad unterwegs. Er startete seine Reise in Nepal und gelangte auch mithilfe des Flugzeuges nach Amerika und Europa. Beim gemeinsamen Nachtessen erzählten wir uns Fahrradgeschichten. Am nächsten Morgen sind wir mit Vorfreude auf die Cargofähre aufgewacht. Zudem gesellten sich beim Frühstück die Franzosen Remy und Benjamin dazu.
Benjamin, Remy, ich und Will
Diese Cargofähre ist bekannt, dass die Lastwagenchauffeure und die sonstigen Passagiere warten müssen. Gründe für ein Nichtfahren hört man kaum und wenn einer genannt wird, dann ist es der Wind. Fühlbar war der Wind jedoch nicht so stark aber dennoch ist vor einigen Jahren das Schwesterschiff der betretenen Mercury I, die Mercury II, gesunken. Grund dafür könnte sein, dass die beiden Schiffe als Kanalschiffe und nicht für grosse, offene Meere konzipiert sind. Somit wollen die Betreiber das Risiko minimieren. Auf der Fähre war jedoch das letzte Inspektionsdatum aus dem Jahre 2018 gut zu sehen, was meine Zweifel besänftigt hat.
An diesem Mittag konnten wir die Fähre dann auch besteigen. Beim Eingang musste jeder Passagier seinen Pass abgeben um wohl während der Wartezeit nicht wieder von Bord zu gehen und ihn dann wieder während der Fahrt zu erhalten. Wir bezogen gleich gemeinsam eine Viererkabine.
Die Passagierzahl habe ich mithilfe meiner französischen Freunden auf etwa 59 Männer, meistens Lastwagenfahrer und eine Frau, welche mit ihrem Mann unterwegs war, geschätzt. Während der gesamten Warte- und Reisezeit wird man(n) auf der Fähre und ohne Zusatzkosten mit drei Mahlzeiten versorgt. Das Mittag- und Abendessen bestand bei uns immer aus Poulet und Pasta oder Reis, einer Suppe und einem Süssgetränk. Zudem wurden Tee und Wasser nach den Mahlzeiten grosszügig im Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt.
Die Wartezeit fühlte sich dank neu gewonnener Fahrradfreundschaften gleich halb so lange an. Wir spielten Kartenspiele, Schach und schauten auf Tablets welche sie mitbrachten, Filme.
Als Touristen und erst noch im Besitz von Spielkarten fanden wir schnell Freunde. Die Fahrer interessierten sich trotz Verständigungsproblemen für unsere Routen und gaben uns als Einheimische gleich Tipps dazu. Ein einziger Autoimporteur konnte sich gut verständigen, da er 10 Monate in Deutschland verbracht hat. Ich schöpfte meine Sprachkenntnisse komplett aus und übersetzte seine Deutschen Worte für meine Freunde ins Englische und Französische. Meine deutsche Antwort übersetzte der Fahrer namens Ilgar, für die weiteren rund 12 anwesenden Personen wiederum ins Russische. Die Konversationen waren einfach, gut und lustig. So konnte ich über Übersetzung einrichten die Adresse eines tadschikischen Fahrers zu erhalten. Diese Adresse liegt auf dem geplanten Weg und ich erhoffe mir die in der Schweiz bestellten Verschleissteile für mein PAPAPLAGI zu erhalten.
Rechts im Bild ist Ilgar zu sehen, der meine Worte vom Deutschen ins Russische übersetzt
Nach zwei Tagen an Bord, jedoch noch im Hafen von Baku weilend, liefen die Motoren. Die Reise an sich dauert rund 22 Stunden doch als wenige Meilen vor Kasachstan geankert wurde war uns klar, dass wohl wieder einige Wartezeit auf uns zukommt. Schlussendlich verbrachten wir gut 4.5 Tage auf der Fähre was mit der Wartezeit davor ein Total von 9 Tagen ergibt. Um 02:00 Uhr morgens verliessen wir dann unsere Kabinen um auf die Zöllner zu warten, welche die Pässe an Bord kontrollierten, einscannten und glücklicherweise auch abstempelten. Nebenbei wurde laut meiner Vermutung mithilfe einer mobilen Wärmebildkamera unsere Körpertemperatur gemessen. Durch den Coronavirus sind wohl viele Nationen angespannt und ergreifen zurecht vorsichtsmassnahmen.
Besonders der westliche Teil von Azerbaijan bleibt mir sehr gut in Erinnerung. Mit der richtigen Einstellung, der nötigen Zeit und guten Mitreisenden lief das Abenteuer auf der Fähre von Baku aus auch relativ reibungslos und gut ab.
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